Eine Einführung zum Abgewöhnen
Teil 3: Schnorrer, Schnorrende und Schnorrerinnen
Der Gestus des klassischen Zigaretten-Schnorrers geht so: Die linke Hand wischt verlegen irgendwo an der Jeans ‘rum, die rechte kratzt sich hinten am schief geduckten Kopf, und mit unruhigen Augen und ziellosem Blick kommen Sätze wie „Hast du mal ‘ne Kippe oder so?“
Ich weiß nicht, ob diese Unterwürfigkeit mehr Erfolg hat als eine freundliche Frage auf Augenhöhe. Aber solche zur Schau gestellte Demut scheint ein wesentliches Merkmal (USP) des „arbeitsfreien Erwerbes“ zu sein.
Die fallende Melodie des „Büüühhte“ bei Kindern, die einen Lolli erquengeln, oder der weinerliche Tonfall bettelnder, auf der Straße sitzender Menschen signalisiert in erster Linie das, was im darstellenden Gewerbe „Tiefstatus“ genannt wird. Es ist dabei unerheblich, ob der echte tiefere Status (in unseren Kulturen meistens über den Kontostand definiert) die Voraussetzung für diese Art des Auftritts ist oder nur vorgetäuscht wird. In jedem Fall legen Schnorrer und Bettlerinnen qua Definition den Status ihrer Rolle dem zu Füßen, den sie anbetteln.
(Wie würdevoll Menschen aussehen können, die wir gemeinhin mit Tiefstatus verbinden, kann auf einigen der phantastischen Portraits des Fotografen Marc Riboud betrachtet werden.)
Die vor- und vor-vorletzte Generation, insbesondere in Deutschland, hat schlechte Erfahrungen gemacht mit den Signalen eines angestrengten Hochstatus durch imperative Sprache und die Haltung des erhobenen rechten Armes. Nach dem Krieg war bald alles verpönt, was daran erinnerte. Die heute nachwachsende Generation scheint entspannter mit diesem Thema umzugehen, aber viele Dozenten und Dozentinnen diffundieren immer noch in eine sonderbare Servilität, wenn es um die Vermittlung ihrer Inhalte geht.
Inzwischen hat der verbreitete Hang zum Tiefstatus weniger historische Gründe. Vielmehr wächst er vermutlich aus der Angst vor Konflikten. Weshalb praktisch jede Form von (gesunder) Konfrontation zu vermeiden gesucht wird (Stichwort: „Alles gut!“).
In diesem Sinne ist die Rolle des Tiefstatus eine nachvollziehbare Aufstellung zur Konfliktvermeidung. Aber für die Vermittlung von Inhalten, also zum Beispiel bei Präsentationen, ist Servilität keine erfolgversprechende Haltung.
Sprachlich drückt sich diese Anbiederung in Abtönungspartikeln aller Art aus.
Und insbesondere die zur Schau gestellte Resignation des „ist halt so“ dient als verbaler Schutzraum vor konfrontativer Kommunikation. Bei einer Präsentation, sogar bei einem simplen Gespräch, „konfrontiere“ ich mein Gegenüber aber immer mit einer Meinung, einer Information oder einer Haltung. Das ist notwendig, richtig und völlig normal. Insbesondere bei einer Präsentation sollte ich dazu auch stehen. Das ist nicht zu verwechseln mit Aggression oder Streitsucht.
Wenn der Schnorrer im Eingangsbeispiel sein „oder so“ an den Wunsch nach Rauchware heftet, ist dieser Wunsch schon derart resignativ aufgeweicht, dass er dem Gefragten fast die Möglichkeit verleidet, mit einem beherzten „Ja“ zur Zigarette zu greifen.
Der Tiefstatus geht gerne mit Resignation einher. Umgekehrt befindet sich der resignierte Mensch immer im Tiefstatus.
Im letzten Magazinbeitrag dieser Reihe über Abtönungspartikel ging es um das Füllwort „halt“(siehe: „Im Dunstkreis der Resignation“). Wenn wir unsere Alltagskommunikation oder unsere Präsentationen durch solche Modalpartikel abpuffern, dann entspringt das offenbar dem Wunsch, Konfrontation zu vermeiden. Und zwar, indem wir uns von vornherein in den Tiefstatus setzen, um ja nicht zu provozieren.
Wir sind auf dem Weg zur Vermeidung solch geschäftsschädigenden Verhaltens einen Schritt weiter: Wir erkennen einen Zusammenhang. Es geht bei den meisten Abtönungspartikeln um überflüssige Konfliktvermeidung und um einen falsch aufgesetzten Tiefstatus.
In der Folge im kommenden Monat berichte ich von einem wunderbaren Beispiel, in dem ein sehr etablierter Podcaster sich in einem Geflecht von Abtönungen verheddert hat, um bei einem für ihn offenbar heiklen Thema niemandem zu nahe zu treten.
Und ich begebe mich weiter auf den Weg zu Vermeidungsstrategien.